Dynamik komplexer Systeme - Oberflächenwellen


Oberflächenwellen

An der Oberfläche eines Festkörpers können sich elastische Wellen ausbreiten, deren gesamte Energie in einer oberflächennahen Schicht von etwa einer Wellenlänge konzentriert ist. Eine der aus der Natur bekanntesten Erscheinungsformen dieser Oberflächenwellen sind Erdbebenwellen: Bei einem Erdbeben werden neben Volumenschallwellen auch Oberflächenwellen angeregt, die entlang der Erdoberfläche propagieren und i. Allg. wegen ihrer relativ großen Reichweite die meisten Schäden anrichten. Während dort die Periodendauer typischerweise bei etwa 20 Sekunden und die Wellenlänge in der Größenordnung von 100 m liegt, lassen sich Oberflächenwellen auf wesentlich kleineren Zeit- und Längenskalen für Forschungszwecke und technische Anwendungen gezielt einsetzen. Typische Perioden und Wellenlängen der im Labor verwendeten Oberflächenwellen sind einige Nanosekunden bzw. Mikrometer, die Teilchenauslenkungen betragen nur Bruchteile von Nanometern. Bild 1 zeigt eine Momentaufnahme der Teilchenauslenkungen bei Ausbreitung einer sogenannten Rayleighwelle, wobei die Amplituden hier stark übertrieben dargestellt sind. Neben Rayleighwellen, bei der die Bewegung der Teilchen an der Oberfläche ellipsenförmig verläuft, sind verschiedene weitere Moden möglich, u.a. Wellen, bei denen nur transversale Teilchenauslenkungen parallel zur Oberfläche erfolgen. Bei unseren Untersuchungen werden allerdings meistens Rayleighwellen verwendet.

      
Bild 1: Momentaufnahme der Verzerrung einer Festkörperoberfläche durch eine Rayleighwelle. Animation einer Rayleighwelle (ActiveMovie, 1 MB).


Die Erzeugung und Detektion von Oberflächenwellen läßt sich am einfachsten auf piezoelektrischen Substraten wie Lithiumniobat (LiNbO3), Lithiumtantalat (LiTaO3) oder kristallinem Quarz mit Hilfe von geeignet strukturierten Schallwandlern, den sogenannten Interdigitaltransducern (IDTs), bewerkstelligen. Einen solchen Transducer kann man sich in seiner einfachsten Form als zwei ineinander greifende Kämme aus dünnen Metallelektroden vorstellen. Eine metallisierte Fläche, das "Pad", verbindet die einzelnen Finger eines Kamms miteinander und ermöglicht die äußere elektrische Kontaktierung, die i. Allg. über dünne Bonddrähte erfolgt. Das Anlegen einer hochfrequenten Spannung an den Elektroden führt zu einer periodischen mechanischen Verzerrung. Die Partialwellen, die dabei an jedem einzelnen Fingerpaar entstehen, breiten sich mit Schallgeschwindigkeit längs der Oberfläche aus und können konstruktiv interferieren, wenn die Laufzeit zwischen benachbarten Fingerpaaren im Abstand 2a gerade der Periode der Wechselspannung entspricht, d.h., wenn λ = v/f = 2a. Bei geeigneter Wahl von Kristallschnitt und Orientierung des Substrats ist dann die Ausbildung kohärenter Rayleighwellen möglich. Zu ihrer Detektion wird nach Durchlaufen einer bestimmten Strecke ein Teil ihrer Energie in einem zweiten, gleichgearteten Transducer mittels des inversen Piezoeffekts wieder in eine elektrische Wechselspannung zurückverwandelt, welche dann der weiteren elektronischen Signalverarbeitung zugeführt wird. Abb. 2 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines einfachen Oberflächenwellenbauteils mit Sende- und Empfangs-IDT sowie angedeuteter äußerer Beschaltung.

      
Bild 2: Schematische Darstellung eines Oberflächenwellenbauteils mit Sende- und Empfangstransducer. Die Skizze ist nicht maßstäblich. Die Laufstrecke ist typischerweise 1 cm lang, während die Transducerbreite lediglich etwa 1 mm beträgt. Auch ist die Zahl der Fingerpaare in den Transducern in der Praxis wesentlich größer (im Normalfall 20 - 100).


Abbildung 3 zeigt eine photorealistische Ansicht eines Oberflächenwellenbauteils, wie es für Tieftemperaturexperimente in unserer Arbeitsgruppe verwendet wird. Das piezoelektrische Substrat wird auf einen Kupfersockel geklebt (bzw. mit Vakummfett fixiert), um einen möglichst guten thermischen Kontakt des Bauteils zu gewährleisten.

      
Bild 3: 3D-Darstellung eines Oberflächenwellenbauteils für den Einsatz bei tiefen Temperaturen. Die Transducerfinger sind aufgrund der mangelnden Auflösung nicht zu erkennen. Über die in den Edelstahlchipsockel eingelassenen Kontaktpins und die Bonddrähte werden die elektrischen Signale ein- und ausgekoppelt.


Aufgrund ihrer relativ geringen Eindringtiefe sind Rayleighwellen empfindlich auf Änderungen der Oberflächeneigenschaften. So kann beispielsweise die Belegung der Oberfläche durch ein Adsorbat sehr genau über die damit verbundene Änderung der Schallgeschwindigkeit nachgewiesen werden. Änderungen der Schallgeschwindkeit können mit einer Genauigkeit von etwa 10-7 nachgewiesen werden, was einer Auflösung bei der Filmdickenmessung von typischerweise etwa einer Hundertstel (!) Monolage entspricht. Neben der bloßen Masse der adsorbierten Films können auch seine elastischen und/oder elektrischen Eigenschaften einen merklichen Einfluß auf die Schallgeschwindigkeit und Dämpfung der Oberflächenwellen haben. Bei den an unserem Lehrstuhl laufenden Projekten interessieren insbesondere die elastischen Eigenschaften von adsorbierten Filmen, die bei tiefen Temperaturen entscheidend von Tunnelsystemen (s.
Forschungsthemen) geprägt werden. Oberflächenwellen werden zur Untersuchung von Edelgasfilmen und von amorphen Halbleitern eingesetzt.
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