Loránd Eötvös (1848 – 1919) wünschte sich nach Abschluß eines Jurastudiums in Budapest, das er auf Wunsch seines Vaters absolvierte, ein naturwissenschaftliches Studium bei hervorragenden Professoren. Dafür kam in erster Linie Heidelberg in Frage. Hier lehrte neben Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen auch Hermann Helmholtz. Kirchhoff und Bunsen hatten kurz zuvor mit ihren Arbeiten zur Spektralanalyse Aufsehen erregt.
In Heidelberg angelangt stürzte Eötvös sich mit Begeisterung in das ersehnte naturwissenschaftliche Studium. In einem Brief vom 24. Oktober 1867 an seine Schwester Ilona schreibt er, daß er frühmorgens um 8 Uhr sein Zimmer verläßt, erst abends um 6 zurückkehrt und dann noch die Vorlesungen ausarbeitet. Er hörte in der Woche 22 Stunden Vorlesungen, und zwar täglich „Experimentalchemie“ bei Bunsen von 9 bis 10 Uhr und von 11 bis 12 Uhr „Experimentalphysik” bei Kirchhoff. Außerdem arbeitete er im Labor bei Bunsen, hörte einige Mathematikvorlesungen und bei Helmholtz „Allgemeine Resultate der Naturwissenschaften“.
Eötvös schrieb, das bereite ihm alles sehr viel Arbeit, aber noch mehr Freude. Am anstrengendsten war ihm das abendliche Ausarbeiten der Vorlesungen, auf das er aber sehr viel Mühe verwandte. Diesem Studieneifer verdanken wir unsere ausführlichen Kenntnisse der Kirchhoffschen Vorlesungen
Da Eötvös zunächst an ein Chemiestudium bei Bunsen dachte, hat er im Wintersemester 1867/68 die Vorlesung Bunsens viel detaillierter ausgearbeitet als Kirchhoffs Experimentalphysik. Aber die Persönlichkeit Kirchhoffs und dessen Vorlesung beeindruckten ihn so sehr, daß die Physik zu seinem Hauptinteressengebiet wurde. Mit Ausnahme des Sommersemesters 1868, das er auf Anraten Kirchhoffs bei Neumann in Königsberg verbrachte, blieb er in Heidelberg und schloß sein Studium im Sommer 1870 mit der Promotion ab.
Agost Heller (1843 – 1902) studierte ab 1862 am Polytechnikum in Budapest, wurde dort 1867 Assistent, ging dann aber mit 26 Jahren zum Wintersemester 1869/70 nach Heidelberg. Er hörte Vorlesungen bei Kirchhoff und Helmholtz, nahm im Sommersemester 1870 an den Übungen im physikalischen Praktikum teil, arbeitete im Labor bei Kirchhoff, wo er ergänzende Messungen zu dessen theoretischer Arbeit über die Schallgeschwindigkeit in einer Röhre durchführte. Bei Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich und Preußen brach er sein Studium in Heidelberg ab und kehrte 1870 ohne Promotion nach Budapest zurück. Der Heidelberger Vorlesungsbetrieb wurde dann auch eingestellt.
In den Semestern, die Eötvös und Heller in Heidelberg verbrachten, hielt Kirchhoff die folgenden Vorlesungen:
WS 1867/68 | Experimentalphysik | (Eötvös MS 5096/9) |
Theoretische Physik | ||
Hydrodynamik | ||
SS 1868 | Experimentalphysik | |
Theorie der Elasticität fester Körper | (Eötvös MS 5096/13) | |
Physikalische Uebungen | (Eötvös MS 5096/23) | |
WS 1868/69 | Experimentalphysik | |
Theoretische Physik | (Eötvös MS 5097/3) | |
Theorie der Elektricität und des Magnetismus | (Eötvös MS 5097/4) | |
WS 1869/70 | Experimentalphysik | (EötvösMS 5096/15) |
Theoretische Physik | (Heller MS 5027/8) | |
Theorie der Elasticität fester Körper | (Heller MS 5027/8) | |
SS 1870 | Experimentalphysik | (Heller MS 5027/8) |
Theorie der Elektricität und des Magnetismus | (Heller MS 5027/8) | |
Uebungen im physikalischen Seminar |
Eötvös verwendete lose Bögen etwa vom Format A3, von denen jeweils 6 übereinanderlagen und zusammen in der Mitte gefaltet waren. Solch ein Paket ergab ein Heft von 24 Schreibseiten etwa im A4-Format. Heller schrieb in einzelnen Heften etwa vom A5-Format. Diese Hefte sind heute zu einem Buch mit der Signatur MS 5027/8 zusammengebunden.
Der Friedrichsbau in Heidelberg,
errichtet von 1860 bis 1862 für die naturwissenschaftlichen Institute,
seinerzeit so benannt nach dem damaligen Landesherren,
dem Großherzog Friedrich I. von Baden.
Das Physikalische Institut befand sich im rechten Flügel des ersten Stockwerkes,
der Kirchhoffsche Hörsaal in dem die hier behandelten Vorlesungen gehalten wurden,
lag ganz am rechten Ende des Gebäudes.